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NIEDERSACHSEN: HANDLUNGSBEDARF UND ZUKÜNFTIGE RAHMEN- BEDINGUNGEN

Von den ökonomischen und sozialen Konsequenzen der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung bis hin zu den soziokulturellen Auswirkungen des Lebensmittelkonsums ist eine Verbesserung des Ernährungssystems nur dann zu erwarten, wenn eine integrierte, holistische Verknüpfung von agrarwissenschaftlicher, ernährungswissenschaftlicher und sozioökonomischer Expertise gelingt. Diese Expertise ist in Niedersachsen vorhanden und auch gefordert, da sich die Intensität pflanzlicher und tierischer Erzeugung landwirtschaftlicher Rohstoffe in Niedersachsen auf einem, im europäischen Vergleich, hohen Niveau befindet. So werden auf einer Landesfläche von knapp 50.000 km2 (Agrarfläche: ca. 26.000 km2) von etwa 35.500 landwirtschaftlichen Betrieben ca. 2.661.000 t Weizen, ca. 4.100.000 t Kartoffeln, ca. 6.900.000 t Milch und ca. 1.885.000 t Fleisch pro Jahr erzeugt. Das entspricht nahezu 950.000 t Eiweiß, knapp 700.000 t Fett und ca. 2,5 Mio. t Kohlenhydraten pro Jahr, was zur Versorgung von mehr als 23 Mio. Menschen ausreichend wäre. Zur Weiterverarbeitung sind in Niedersachsen mehr als 700 Betriebe aus allen Sparten der Lebensmittelindustrie angesiedelt und beschäftigen rund 80.000 Mitarbeiter. Der Agri-Food-Bereich ist damit nach der Automobilindustrie der zweitgrößte Arbeitgeber und damit für das in weiten Teilen ländlich geprägte Bundesland von sehr großer Bedeutung.

Durch die Konkurrenz aus anderen europäischen Ländern (oft mit niedrigeren Tierschutz- und Umweltauflagen), durch Handelsbarrieren und veränderte gesellschaftliche Erwartungen und Anforderungen (u.a. Tierwohl und Umweltwirkungen), ist der Wachstumszyklus hierzulande für weite Teile der tierischen Eiweiß- und Fett produktion an sein Ende gekommen. Daher wird die Vermarktungsfähigkeit tierischer Proteine abnehmen, getrieben durch die Diskussionen über Tierwohl, Nachhaltigkeit und gesundheitliche Aspekte. Dies betrifft sowohl Fleisch und Fleischwaren als auch die verschiedenen Milchprodukte und wird befeuert durch eine zunehmende Verfügbarkeit von Analogprodukten vegetarischer oder veganer Herkunft. Deshalb kommen der Verfügbarkeit, Qualität und Sicherheit alternativer Proteine große Bedeutung zu.

Hierbei stellte die Niedersächsische Ernährungsstrategie (2021) mit Blick auf die zu erwartende stärkere Nachfrage nach pflanzenbasierten eiweißreichen Lebensmitteln folgenden Handlungsbedarf heraus: „Um eine pflanzenbetontere Ernährung auf regionaler Rohstoffbasis zu ermöglichen, muss der Anbau pflanzlicher Eiweißlieferanten in Niedersachsen gesteigert werden. Dazu werden Forschung, Versuchswesen und Beratung intensiviert sowie die Vermarktung verbessert, damit am niedersächsischen Standort bedarfsorientiert landwirtschaftliche Rohstoffe erzeugt und verarbeitet werden können“. Die unmittelbare Substitution von Eiweißimporten (z.B. Soja) durch direkte Erzeugung von Ackerbohnen, Futtererbsen oder Sojabohnen in Niedersachsen ist aufgrund der damit verbundenen Verdrängung von hochproduktivem Getreideanbau aktuell jedoch kritisch zu hinterfragen.

Der Transformationsprozess wird aber noch weiterreichen, da sowohl die in der Veredelungswirtschaft tätigen landwirtschaftlichen Betriebe als auch Schlacht-, Zerlege- und Verarbeitungsbetriebe von einem Rückgang der Nachfrage nach tierischem Eiweiß betroffen sein werden. Trotz des zu erwartenden Rückgangs der Tierzahlen werden aber auch in Zukunft tierische Eiweiße und Fette verzehrt werden. Wo, in welchem Umfang und in welcher Haltungsform diese erzeugt werden, wird von den wirtschaftlichen und politischen Randbedingungen abhängen. Mit Blick auf den Green Deal und insbesondere die darin verankerten Nachhaltigkeitskriterien werden allerdings die Freiheitsgrade bei der Tierhaltung kleiner und es wird darauf ankommen, die mit der Reduktion des Fußabdrucks verbundenen Kosten über entsprechend höherpreisige Produkte zu vermarkten.